Gokstad – Das Schiff aus dem Grab

Artikel von Marian Schubert

Zeitsprung. Wir sind nun seit einiger Zeit aus Norwegen zurück, und noch länger ist es her, dass wir unsere Reise antraten. Anfang August 2013 waren alle Teilnehmer der Reise auf einer malerisch gelegenen Schäreninsel im Süden Norwegens versammelt.

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Zwar war diese Landzunge, welche weit ins Meer hineinreichte von einer Bunkeranlage aus dem zweiten Weltkrieg durchzogen, die sich durch kleine Türmchen hier und da auch oberhalb des steinernen Bodens zeigte. Zwar fuhr jede Stunde eine riesige Fähre nur ein paar hundert Meter von uns entfernt in Richtung Hafen der nahegelegenen Stadt Sandefjord.  Dennoch fiel es mir nicht schwer zu glauben, dass vor hunderten von Jahren hier die so sagenumwobenen Wikinger hausten, Handel betrieben und mit ihren Schiffen in See stachen. Die wunderbare Landschaft und das weite, offene Meer muss schon damals die Leute angezogen haben. Und tatsächlich, die Region um Sandefjord ist geschichtsträchtig.

Nicht weit entfernt von der Stadt gibt es einen Hügel, ca. fünf Meter hoch und etwa zwanzig Meter breit. Auf den ersten Blick nicht sehr beeindruckend. Christoph und ich sind damals aufgebrochen um den Gokstadhügel zu filmen. Pompös und ehrwürdig sollte die Darstellung sein. Wir gaben uns die größte Mühe dieser Vorgabe gerecht zu werden. Doch auch wenn ein solcher Grabhügel (das ist der Gokstadhügel nämlich) den heutigen Augen, welche Wolkenkratzer und große Arenen gewohnt sind, nicht mehr pompös und beeindruckend erscheint, so steckt doch, und das im wahrsten Sinne, einiges in ihm.

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Im Jahre 1880 grub der Archäologe Nicolay Nicolaysen ein ganzes Schiff aus dem Hügel aus. Das Gokstadschiff, wie man es seitdem nannte, wurde sofort konserviert und ist heute im Vikingskipmuseet auf Bygdøy in Oslo zu bewundern. Es ist 23,5m lang und 5,2m breit. Nach neusten Datierungen stammt es aus dem Jahre 901 n.C.. Der Grabhügel ist heute etwa zwei Kilometer Luftlinie von der Küste entfernt. Es stellt sich die Frage, wie es die Menschen zu damaliger Zeit vollbracht haben ein Schiff von den Ausmaßen des Gokstadschiffes an jenen Ort zu transportieren. Diese Frage ist jedoch leicht zu beantworten: Der Wasserstand zu Wikingerzeiten war höher als heutzutage, demnach war der Grabhügel damals direkt an der Küste errichtet worden. Das Schiff mit zu begraben war also eine wesentlich weniger aufwändige Aufgabe als vorerst angenommen und dennoch beeindruckend.

Wie es zu Wikingerzeiten üblich war wurden großen Persönlichkeiten, wie z.B. Königen oder Häuptlingen, opulente Grabbeigaben mit in die Ruhestädte gelegt, damit sie auch nach dem Tod gut ausgestattet waren. So fand man neben dem Gokstadschiff auch noch zwei kleinere Boote, verschiedenste Tierskelette (zwölf Pferde, sieben Hunde, zwei Habichte und zwei Pfauen) und man geht davon aus, dass auch Schmuck und kleinere Wertgegenstände beigelegt wurden, welche aber wohl Grabräubern zum Opfer gefallen sind. Vor allem die Skelette der Pfauen, welche ja bekannterweise nicht in den Breitengraden Norwegens beheimatet sind, zeigen auf eindrucksvolle Weise den damaligen sozialen Status des hier begrabenen. Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass  Olav Geirstadalv (erwähnt in Snorris Heimskringla) der Gokstad- Häuptling und damit der Begrabene war, doch nach der Neudatierung des Schiffes auf 901 n.C. ist diese Annahme widerlegt, da Olav zu dieser Zeit bereits seit 60 Jahren tot war. Sicher ist, dass der Tote ein bedeutender Mann gewesen sein muss. Bei erneuten Untersuchungen des Skelettes im Jahr 2007 fand man heraus, dass er für damalige Zeit außergewöhnlich groß (über 1,80m) und wohl auch sehr beleibt gewesen sein muss. Sein Äußeres war aber nicht nur dadurch auffällig, sondern auch durch die Tatsache, dass dieser Mensch an einer hormonell bedingten Krankheit litt, welche ihm außergewöhnliche Gesichtszüge verlieh. Er hatte große Ohren und Lippen und eine riesige Nase. Nichts desto trotz starb er vermutlich auf dem Schlachtfeld und war für den Gegner ein erschreckender Feind.

Der Gokstadhügel, welcher seinen Namen erhielt, weil er auf dem Gelände des Gokstad-Hofes liegt, ist heute eine bedeutende norwegische Kulturminne. So finden sich auf dem, durch ein kleines Mäuerchen begrenzten, Areal des Hügels neben dem Grab auch in den Boden eingelassene Steinplatten, welche den Grundriss des Schiffes zeichnen. Daneben stehen steinerne Informationstafeln, auf welchen geschichtliche und archäologische Hintergründe der Stätte aufgezeigt werden.

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Der Informationstext auf einer der Tafeln zeigt deutlich, dass die heidnische Vergangenheit  im 19. Jh. zur Schaffung einer Nationalidentität Norwegens beizutragen hatte:

Etter over 500 år i union, først med Danmark og deretter med Sverige, var Norge i 1880 på leting etter en egen nasjonal identitet. Gokstadskipet ble derfor en enorm inspirasjon. Funnet viste med all tydelighet at også Norge hadde en ærerik historie.

Nach über fünfhundert Jahren in der Union, erst mit Dänemark und danach mit Schweden, war Norwegen im Jahre 1880 auf der Suche nach einer eigenen Identität. Das Gokstadschiff wurde deshalb zu einer bedeutenden Inspiration. Der Fund zeigte mit aller Deutlichkeit, dass auch Norwegen eine ehrenvolle Geschichte hatte.

Auch heute im 21.Jahrhundert begeistern sich die Menschen für die heidnische (Wikinger-) Vergangenheit Norwegens. Das Gokstadschiff wurde zweimal nachgebaut. Der erste Nachbau wurde 1893 auf der Weltausstellung in Chicago gezeigt, der zweite Nachbau ist die „Gaia“, welche 1990 vom Stapel lief und nun in der Nähe von Sandefjord liegt.

Das Schiff eignet sich besonders gut zum Nachbau, da viele Teile des Rumpfes erhalten geblieben sind. Anders als auf anderen Grabhügeln wurden auf dem Gokstadhügel keine Bäume gepflanzt. Jene mögen zwar ästhetisch ansprechend sein,  zerstören aber durch ihr Wurzelwerk das Grab. Bis auf Verzierungen, welche bei anderen Funden rekonstruiert werden konnten, ist vom Gokstdschiff fast alles erhalten geblieben. Selbst Überreste eines Zeltes, welches sich auf dem Schiff befand, haben die Jahrhunderte überdauert.

So trieb es auch den Norweger Freddy Svanberg und sein Team dazu das Schiff nachzubauen. Anlässlich des 1000 Jahrestages der Ankunft von Leif Erikson in Amerika  im Jahre 2000 bewiesen sie sogar die Seetauglichkeit des Schiffes, indem sie auch in die vereinigten Staaten übesetzten.

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Hannah, Christoph und ich trafen Freddy zum Interview. Mit dem Auto holte er uns von der Bibliothek ab und brachte uns zu „seinem“ Schiff, der Gaia. Dort angekommen ging er direkt auf das Schiff, und man sah es in seinem Gesicht: er war angekommen! Dieses Schiff und dieses Projekt welches er über so viele Jahre betreute war für ihn der größte Schatz. Auf der Gaja stehend winkte er uns heran, wir sollten auch dazu kommen und er schlug vor das Interview auf den Planken zu drehen, welche schon so viel von der Welt gesehen hatten. Diese Möglichkeit ließen wir uns natürlich nicht entgehen.

Die Kulisse war malerisch, Neben der „Gaia“ dümpelten zwei kleine Beiboote im Wasser (ebenfalls Nachbauten aus dem Gokstadfund), die Nachmittagssonne stand schon niedrig am Himmel und Freddy selbst machte die Szene perfekt. Im einfachen Leinenhemd, mit seinem langen Bart, der gegerbten Haut eines Seefahrers und den scheinbar immer in die Ferne blickenden Augen hätte auch er ein Wikinger sein können, aus seiner Zeit entsprungen und hier in der geschichtsträchtigen Region um Sandefjord gelandet. Man darf deshalb gespannt sein auf seine Kommentare im kommenden Film! Freddy jedenfalls wird uns ein Leben lang in Erinnerung bleiben, verkörpert er doch in gewisser Weise das, was man zu empfinden scheint, spürt man der Geschichte Sandefjords und des Oslofjord nach. In Freddy Svanberg selbst und durch sein Engagement ist eine bedeutende Epoche Norwegens lebendig und erinnert geblieben.

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